Alle unter eine Tanne: Roman (German Edition) by Lo Malinke

Alle unter eine Tanne: Roman (German Edition) by Lo Malinke

Autor:Lo Malinke [Malinke, Lo]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2014-12-14T05:00:00+00:00


39

Draußen hatte ein kräftiger Wind begonnen, die Welt in blendendes Weiß zu kleiden. Feiste Schneeflocken wirbelten um Sträucher und Gräser und klammerten sich entschlossen an die schwankenden Zweige der Obstbäume im hinteren Teil des Gartens. Der Schein der Straßenlaterne beleuchtete das glitzernde Treiben. Die Küche lag in grauem Dämmerlicht.

Elli öffnete den Kühlschrank und erblickte in dessen müdem Licht eine der Flaschen, die sie dort am Morgen zur Kühlung eingelagert hatte.

»Champagner«, murmelte sie mürrisch. »Ja, hier gibt es wirklich was zu feiern.« Sie wickelte das goldene Stanniolpapier vom Flaschenhals und zerrte missmutig an dem Drahtgeflecht, das den Korken an seinem Platz hielt. Mit einem dumpfen Plopp schoss ihr der Korken in die vorgehaltene Handfläche. Elli nahm ein Glas aus dem Regal und füllte es großzügig mit Champagner. Dann leerte sie es in einem Zug. Nachdenklich betrachtete sie das Glas in ihrer Hand. »Das hat ja leider gar nicht geholfen.« Sie schenkte nach und kippte auch das zweite Glas in sich hinein. Dann stützte sie sich mit beiden Händen auf die Arbeitsfläche des Küchentresens und starrte hinaus in das heftiger werdende Schneetreiben. Dort draußen schien die Welt unterzugehen. Hier drinnen ebenfalls.

»Scheiße.« Ein leichter Rülpser stieg in ihr auf. Es gab nichts Unberechenbareres als Amokläufer und verliebte Idioten. Wie hatte sie nur glauben können, Robert in Gegenwart seiner kleinen Freundin länger als eine Stunde unter Kontrolle halten zu können! Elli konnte sich nicht erinnern, dass Robert bei ihr je solches Bemühen und solche Aufmerksamkeit an den Tag gelegt hätte, wie er es bei Chrissi tat, nicht einmal in den ersten Jahren ihrer Ehe. Für Chrissi rückte Robert Stühle zurecht und öffnete Türen, eilfertig hielt er Mäntel auf und trug Handtaschen (was er in Ellis Fall immer als unmännlich abgelehnt hatte), er lachte über Scherze, denen man eigentlich nur beim Sterben zusehen konnte (Chrissis Humor war meist harmlos bis zur Schmerzgrenze), und fragte bei gemeinsamen Abendessen oder Partys voller aufrichtiger Fürsorge oft Stunden vor dem eigentlichen Aufbruch, ob Chrissi noch bleiben wolle oder nicht doch langsam müde werde. Chrissi hatte Robert nicht verändert, sie hatte ihn verwandelt, und sosehr sich Elli in den letzten Jahren ihrer Ehe einen anderen Robert gewünscht hatte als den, der jeden Morgen neben ihr am Frühstückstisch gesessen hatte, so widerwärtig fand sie es nun, diesen neuen Robert bestaunen zu müssen. Natürlich konnte die Therapeutin in Elli einen Schritt zurücktreten und sehen, dass ihr Widerwille gegen den verbesserten Robert vor allem in der Tatsache begründet lag, dass Robert diese Verwandlung nicht ihr zuliebe vollzogen hatte, dass er für Elli (und für den möglichen Fortbestand ihrer mehr als dreißigjährigen Ehe) nicht in der Lage gewesen war (oder auch nur den Wunsch gehabt hatte), sich neu zu erfinden. Doch die Elli, die ihre Praxisräume pünktlich um halb fünf abschloss und nach Hause fuhr, die Elli, die die psychologische Hintergrundbeleuchtung ausschaltete und dann nur noch Ehefrau und Geliebte war, diese Elli war erfüllt von rachsüchtigem Groll und ohnmächtigem Neid. Sie war es Robert einfach nicht wert gewesen! Für sie hatte Robert das alles nicht (oder nicht mehr) auf sich nehmen wollen.



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